SIGNA, Wirecard und Commerzialbank: Rechts- und Wirtschaftsberatung in der Insolvenz des Klienten. Haftungsrisiken und Verantwortung am Beispiel aktueller Fälle
In dem vom Forschungszentrum für Berufsrecht (ZBR) der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz veranstalteten Nachmittagsworkshop stand der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis im Fokus. In ihren einleitenden Grußworten wies Co-Leiterin Univ.-Prof.in Dr.in Bettina Nunner-Krautgasser auf das bereits dreijährige Bestehen des ZBR hin. Es handelt sich dabei um das erste Zentrum in Österreich, das sich dem Berufsrecht aller drei rechtsberatender Berufe – also dem Berufsrecht der Rechtsanwält:innen, der Notar:innen und der Wirtschaftstreuhänder:innen – gleichermaßen widmet. Danach bezog RA Dr. Michael Kropiunig, Präsident der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer, zu aktuellen Entwicklungen im Insolvenzrecht Stellung: Dabei kritisierte er insbesondere den im Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Vereinheitlichung insolvenzrechtlicher Aspekte vorgesehenen Verzicht auf Insolvenzverwalter bei Insolvenzverfahren von KMU („verwalterlose Insolvenzverfahren“) und betonte die Bedeutung von Soft Skills bei Insolvenzverwaltern.
Die Keynote lieferte RA Dr. Klaus Pateter, LL.M. (Columbia), bis vor Kurzem Partner und Rechtsanwalt bei CMS Reich-Rohrwig Hainz und mittlerweile selbstständiger Anwalt in Wien. Darin nahm er Bezug auf aktuelle Insolvenzfälle, wobei er zunächst einen interessanten Überblick über das Firmenkonstrukt und die Insolvenzursachen von SIGNA gab. Daran anknüpfend erläuterte er potentielle Beratungsfehler im Insolvenzfall: Dabei ging er auf Haftungsrisiken bei der Warn- und Hinweispflicht in Bezug auf die Einlagenrückgewähr – insbesondere bei „Intercompany-Darlehen“ und „Cash-Pooling“ – sowie Hinweispflichten zur Insolvenzantragspflicht ein; außerdem wies er auf mögliche Fehler bei der Erstellung von Jahresabschlüssen und der Redepflicht des Abschlussprüfers hin. Abschließend thematisierte er die allgemeine haftungsrechtliche Dogmatik und erörterte dabei unter anderem die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beraters, insbesondere die Voraussetzungen für eine Krisenwarnpflicht. Abgerundet wurde der Vortrag durch eine angeregte Diskussions- und Fragerunde mit zahlreichen Wortmeldungen und Überlegungen. Als Nachlese sei allen Interessierten die am Institut für Zivilverfahrensrecht und Insolvenzrecht der der REWI Graz verfasste und im Verlag LexisNexis publizierte Dissertation von Dr. Pateter zum Thema „Die Krisenwarnpflichten der Rechts- und Wirtschafsberater“ empfohlen (online abrufbar in Lexis360).
Die Rolle der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe für gesellschaftliche Stabilität und einen funktionierenden Rechtsstaat
Im Anschluss an die juristische Analyse aktueller Insolvenzfälle und der damit verbundenen Haftungsfragen richtete sich der Fokus des ZBR-Workshops auf die übergeordnete Bedeutung rechts- und wirtschaftsberatender Berufe für das Funktionieren eines demokratischen Rechtsstaats. In einer von RA Univ.-Prof. Dr. Gernot Murko, Co-Leiter des ZBR, moderierten Diskussionsrunde, an der RA Dr. Bernhard Fink (Präsident der Rechtsanwaltskammer Kärnten), StBin Mag.a Ingrid Gritschacher (Vizepräsidentin der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen Landesstelle Kärnten) sowie Dr. Dieter Kinzer (Präsident der Notariatskammer für Steiermark) teilnahmen, wurden zentrale Herausforderungen und Zukunftsfragen der freien Berufe erörtert.
Einigkeit herrschte darüber, dass diese Berufsgruppen eine unverzichtbare Gatekeeper-Funktion ausüben, besonders im Bereich der Geldwäscheprävention und der Rechtssicherheit. Sie verstehen ihren Berufsstand nicht nur als Dienstleister:innen; vielmehr kommt ihnen eine Schlüsselrolle bei der Wahrung und Durchsetzung der Rechtsordnung zu. Gerade in einer zunehmend digitalisierten Welt mit wachsender Bedeutung von KI sind menschliche Kompetenzen wie Empathie, Integrität und persönliche Beratung unersetzlich. „Der persönliche Kontakt und das individuelle Eingehen auf Klient:innen sind zentrale Elemente verantwortungsvoller Beratung“, so Mag.a Gritschacher. Dr. Fink verwies auf das zunehmende „Bröckeln“ rechtsstaatlicher Grundprinzipien in anderen Rechtsordnungen, wie zum Beispiel in den USA, und warnte vor ähnlichen Entwicklungen in Europa. Er betonte die Bedeutung der freien Ausübung des Anwaltsberufs sowie dessen Rolle sowohl beim Schutz von Grund- und Freiheitsrechten als auch bei der Förderung des Rechtsbewusstseins – etwa durch Bildungsinitiativen oder der Veröffentlichung relevanter Gerichtsentscheidungen. Besondere Beachtung fanden Fragen zur Notwendigkeit eines eigenständigen Berufsrechts und Disziplinarverfahrens für die rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe. Die Diskutant:innen betonten, dass verbindliche Standesregeln der Qualitätssicherung und dem Schutz der Klient:innen dienen, insbesondere durch Verschwiegenheitspflichten und Unabhängigkeit gegenüber externen Interessen, etwa in Abgrenzung zu wirtschaftlich getriebenen Interessen von Banken oder Versicherungen.
Abschließend bekräftigten die Podiumsteilnehmer:innen das Selbstverständnis der freien Berufe als tragende Säulen eines funktionierenden Rechtsstaates. Sie hoben die besondere Verantwortung dieser Berufsgruppen gegenüber dem Gemeinwohl und dem Vertrauen der Bevölkerung in rechtsstaatliche Institutionen hervor.
Als klare Botschaft stellte sich heraus: Dort, wo unabhängige Beratung und Verschwiegenheitspflicht gesichert sind, bleibt auch der Rechtsstaat stabil und verlässlich.
Moritz Ertl/Julian Waldner/Forschungszentrum für Berufsrecht